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30.11.2021 Redaktion Kloster Dalheim

In diesem Jahr leuchten 27 Lichter auf dem Adventsrad im Kloster Dalheim. Sie symbolisieren die Zeit bis Heiligabend. LWL/Kruck

Advent: 24 Tage, vier Kerzen, eine uralte Tradition – oder etwa nicht? Wer dieser Tage durch die Dalheimer Klausur schlendert, entdeckt alte Hölzer statt grüner Zweige – und 27 Lichter. Hat sich da jemand verzählt?

Aus der Not eine Tradition gemacht

Das mit Kerzen geschmückte Rad in der Dalheimer Klosterkirche führt zum Ursprung des Adventskranz-Brauchs, ins karge Norddeutschland, genauer gesagt in das Dorf Horn vor den Toren Hamburgs. Hier waren im frühen 19. Jahrhundert ca. 60% der rund 100.000 Stadtbewohner von Armut betroffen. Als ein junger Theologe namens Johann Hinrich Wichern (1808-1881) im Jahr 1832 nach dem Studium in seine Heimatstadt zurückkehrte, plante er kurzerhand ein Rettungsdorf für verwahrloste Kinder und Jugendliche. In einem reetgedeckten Bauernhaus, seit jeher „Rauhes Haus“ genannt, fanden Mädchen und Jungen ein Zuhause mit familienähnlichen Strukturen.

In der Adventszeit herrschte, wie wohl bei allen Kindern, besondere Aufregung. Um das Warten zu erleichtern und die Zeit bis Heiligabend ablesbar zu machen, hängte Wichern eines kühlen Tages im Jahr 1839 ein einfaches Holzrad in den Gebetssaal und befestigte darauf so viele Kerzen, wie es Tage bis Heiligabend waren. Der Prototyp des Adventskranzes war geboren!

Lichter und Tannengrün halfen schon in vorchristlicher Zeit durch die dunklen Wintermonate. Foto: CC0/Pixabay

Das Rad nicht neu erfunden

Entfernte Verwandte des Adventskranzes gab es schon in vorchristlicher Zeit. Wärmende Lichter und immergrüne Zweige – Sinnbild für Wohlergehen – waren beliebte Wegbegleiter durch die dunkle Jahreszeit. In den Stuben hingen mit Bändern geschmückte Kränze, die Unheil abwenden sollten. Im Frühmittelalter montierten Bedienstete, die bei Eiseskälte nicht draußen arbeiten mussten, demonstrativ eines der Räder ihrer Arbeitskarren ab und hängten es an den Dachfirst oder in die Diele. Derartige Rituale wurden von der Kirche zunächst abgelehnt, später aber wohl teilweise übernommen und christlich umgedeutet. Auch wenn Johann Hinrich Wichern das Rad als Wintermotiv nicht neu erfunden hat – die Kombination von Kranz, Kerzen und Adventswarten stammt eindeutig aus dem „Rauhen Haus" in Norddeutschland.

Der traditionelle Adventskranz wich in diesem Jahr seinem Prototyp. Foto: CC0/Pixabay

Das Gleiche in Grün?

Bis der Adventskranz seine heutige Form erhielt, dauerte es noch einige Jahre. Mit Tannengrün wurde das Rad erst um 1860 geschmückt. Bis zur Jahrhundertwende bahnte es sich seinen Weg in evangelische Kirchen und Privathaushalte und fand ab 1925 langsam auch in katholischen Gotteshäusern Verwendung. Um handlichere Kränze in kleineren Räumen aufhängen oder hinstellen zu können, wurde nach und nach auf die kleinen Kerzen verzichtet.

Und heute? Ob Wurstring, Autoreifen, pinker Glitzerwahnsinn oder einfache Steckerleiste: Praktisch alles, was rund ist oder Platz für vier Kerzen bietet, inspiriert kreative Köpfe zu teils bizarren Adventskranz-Kreationen – die oft mit deutlichem Augenzwinkern zu betrachten sind. Eines beweist diese Bandbreite aber: Der Adventskranz ist in unserer Zeit ein fest verankertes Symbol der Vorweihnachtszeit.

Welch Kranz in unserer Hütte!

Und warum nun 27 Lichter? Während Kinder und „erwachsene Kinder" heute ihr erstes Adventskalender-Türchen immer am ersten Dezember öffnen, brannte die erste Kerze auf Wicherns Rad am ersten Adventssonntag. Die Zeitspanne bis Heiligabend variierte daher von Jahr zu Jahr. 18 bis 24 kleine rote Kerzen symbolisierten die Wochentage, vier große weiße Kerzen die Sonntage der Vorweihnachtszeit. Dieses Jahr fällt der erste Advent auf den 28. November – 27 Tage vor Heiligabend. Das Adventsrad im Kloster Dalheim ist daher mit 23 kleinen und vier großen Kerzen geschmückt.

Ob Mitbringsel, Schaufensterdeko oder Meme – bizarre Adventskränze sind heute allgemein beliebt. Foto: LWL/Kruck

 

Quellen:

  • Bausinger, Hermann: „Der Adventskranz – Ein methodisches Beispiel", Tübingen, 1980, online unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-38663 (abgerufen am 24.11.2021).
  • Das Rauhe Haus (Hrsg.): „Die Geschichte des Rauhen Hauses von 1833 bis heute", Hamburg, o.D., online unter: https://www.rauheshaus.de/fileadmin/Das_Rauhe_Haus/Downloads/Geschichte_des_RH.pdf (abgerufen am 24.11.2021).
  • Ehlert, Thomas: „Der Adventskranz und seine Geschichte", Hamburg, 2006.
  • Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.): „Je mehr Lichter brennen, desto näher rückt Weihnachten", Hannover, 2017, online unter: https://www.ekd.de/bootsbauer-robert-schneider-baut-wichern-adventskranz-nach-31043.htm (abgerufen am 24.11.2021).
  • Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.): „Wichern. ,Rettungshäuser' für bedürftige Kinder", Hannover, 2006, online unter: www.ekd.de/news_2006_03_24_3_ wichern.htm (abgerufen am 24.11.2021).
  • Museen in Wiesental (Hrsg.): „Der Adventskranz - Geschichte und Tradition", o.O., 2015, online unter: https://www.museum-wiesental.de/aktuell/das-waren-ausstellungen/geschchte-des-adventskranzes/ (abgerufen am 24.11.2021).
  • Norddeutscher Rundfunk (Hrsg.): „Warum ein Theologe den Adventskranz erfunden hat", Hamburg, 3021, online unter: https://www.ndr.de/geschichte/Adventskranz-Warum-Theologe-Wichern-zum-Erfinder-wurde,adventskranz1289.html (abgerufen am 24.11.2021).